Interview mit Atifa, Autorin und ehemalige BFW-Schülerin

„Ich wollte immer frei sein.“

„Ich freue mich jedes Mal, wenn ich zur Arbeit gehe und zu meiner Mutter sage ich am Telefon mit Stolz: Ich gehe zur Arbeit.“

Eine junge, selbstbewusste Frau sitzt mir strahlend gegenüber. Wir haben uns getroffen, um über ihr Buch zu reden, das Ende November veröffentlicht wurde. Nichts lässt erahnen, was sie schon alles erlebt und beim Schreiben verarbeitet hat.

Atifa, wie alt bist du?

Ich bin 21 Jahre alt.

Seit wie viel Jahren bist du in Deutschland?

2016 kamen wir nach Deutschland. Seit 2018 bin ich in Karlsruhe.

Du warst bei mir im Förderkurs Deutsch schon sehr emanzipiert, ich erinnere mich gut an eine Diskussion mit einem arabischen Jungen, in der du gesagt hast: „Mädchen müssen nicht kochen und waschen für Jungs, das können die selbst.“ Hast du, bevor du nach Deutschland kamst, auch schon so gedacht?

Ja, ich wollte nie akzeptieren, dass Jungen mehr dürfen als Mädchen und besser behandelt werden.

Wie war dein Leben im Iran?

Meine Eltern waren sehr streng. Ich habe nie verstanden, dass zuhause meine Brüder mehr Rechte haben als wir Mädchen.

Bist du dort zur Schule gegangen?

Ich konnte sechs Klassen besuchen. Dann wurde ich mit 14 Jahren verheiratet und durfte nicht mehr zur Schule gehen.

Wie ging es dann weiter?

2015 sind mein Exmann und ich geflüchtet über die Türkei, ich wurde auf der Flucht 16 Jahre alt, sie war sehr mühsam und ich habe viel Schlimmes gesehen, oft wollte ich aufgeben. Ich wollte nicht weggehen von meiner Familie, von Deutschland hatte ich noch nie etwas gehört.
Es war für mich sehr schwierig in einem fremden Land, ich wusste so viele Dinge nicht. Ich wusste nicht, dass Frauen in Deutschland Rechte haben, als ich ankam. Ich wusste so vieles nicht. Es gab viele Menschen, die mir sehr geholfen haben, besonders, als ich mich von meinem Mann getrennt hatte, ich werde das nie in meinem Leben vergessen. Es war sehr schwer für mich, ein neues Leben aufzubauen.
Als ich nach Karlsruhe kam, habe ich zuerst meinen Hauptschulabschluss gemacht, dann an der Engelbert-Bohn-Schule den Mittleren Bildungsabschluss und mir dann einen Ausbilldungsplatz gesucht. Jetzt bin ich schon im 2. Ausbildungsjahr.

Während des Interviews schaut Atifas Chefin vorbei und lobt sie sehr: „Atifa ist zielstrebig, umsichtig, vorausschauend, lernbegierig, interessiert und ehrgeizig, sie denkt mit und ist sehr engagiert.“

Wie sind deine Pläne nach der Ausbildung?

Nach dem Ende der Ausbildung möchte ich erst einmal arbeiten, vielleicht irgendwann studieren, das war immer mein großer Wunsch. Ich bin sehr stolz, dass ich arbeiten gehen kann, in Afghanistan und im Iran gehen die Frauen nicht arbeiten. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich zur Arbeit gehe und zu meiner Mutter sage ich am Telefon mit Stolz: Ich gehe zur Arbeit.

Wie kamst du auf die Idee, das Buch zu schreiben?

Die Nachrichten aus Afghanistan machen mich so traurig, die Frauen dort dürfen nicht vergessen werden.

Was möchtest du mit dem Buch erreichen?

Die Frauen in Afghanistan haben 20 Jahre lang für ihre Rechte gekämpft, sie durften zur Schule gehen, konnten studieren und nun ist alles weg und sie müssen zuhause sitzen, das machte mich so traurig, ich wollte ihre Stimme sein.

Wie viel Atifa ist in dem Buch?

In dem Roman sind meine Erfahrungen und meine Gefühle, aber noch viel mehr.
Ich hörte von einer Frau, deren Tochter die Taliban verschleppt hatten, sie wusste nicht, wo sie ist und machte sich Sorgen. Ich habe mir überlegt, wie sie sich fühlt und meine Gedanken sind geflogen…

Wie schwierig/schmerzhaft war das Schreiben?

Sehr schmerzhaft und es gibt Stellen, die konnte ich nicht noch einmal lesen.

Wie lange hast du zum Schreiben gebraucht?

Jede freie Minute, jede Pause, jeden Sonntag habe ich an meinem Buch geschrieben, ich habe fünf bis sechs Monate gebraucht.

Hast du keine Angst, dass dir etwas passieren könnte, wenn jetzt dein Buch veröffentlicht wird?

Ich wurde gewarnt, es sei gefährlich, das Buch zu veröffentlichen, aber jemand muss reden für die Frauen, die es nicht selbst tun können.
Die Frauen sollen nicht vergessen werden.

Das Buch ist erhältlich über Amazon: Atifa Afgan: Ich bin auch ein Mensch! Rabias Weg, ISBN 979-8776608209